Maren Lübbke-TidowDaniel Poller, Frankfurter Kopien
für: Galerie Tobias Nähring, anl. der gleichnamigen Ausstellung, Leipzig, 31.5. bis 16.6.2024
Daniel Poller, ‘Spolie: Replik einer Madonna und Replik Eckkonsole, Datierung: 2018, Provenienz: Claus Giel, Standort: Goldenes Lämmchen, Hinter dem Lämmchen 6, Farben: Akzent Gold, Bayrischblau L 457’, 2022
Eine Kopie setzt immer ein Original voraus. Was bedeutet es, wenn Daniel Poller seine Werkserie mit Frankfurter Kopien betitelt und sie sich – für das Medium Fotografie ungewöhnlich genug – doch aus Unikaten zusammenfügt? Wie lässt sich dieser Twist auflösen und für ein Verstehen der Arbeit produktiv machen? Den Kontext zu dieser Arbeit zu kennen, ist eine Möglichkeit. Die andere Möglichkeit ist, die formal-ästhetischen Setzungen zu betrachten.
Zunächst zum Kontext: Er ist mit dem städtebaulichen Großvorhaben der Stadt Frankfurt zwischen den Jahren 2012 – 2018 benannt, im Rahmen dessen das im 2. Weltkrieg zerstörte Dom-Römer-Viertel mit originalgetreuen Nachbauten wiederaufgebaut wurde. Um das Areal in der Frankfurter Altstadt mit Gebäuden vor allem im Stil des Mittelalter und der Renaissance zu bespielen, wurde die brutalistische Nachkriegsarchitektur, die an dieser Stelle stand (das Technische Rathaus), abgerissen. Die vollzogene Rekonstruktion der historischen Bauwerke steht für eine restaurative und neoliberale Baukultur, die nicht nur mit einer Politik der Verdrängung einhergeht, sondern auch mit einer Ignoranz gegenübergewachsenen Strukturen im Stadtraum und der Kontingenz ihrer Geschichte. Wie fragwürdig dieser städtebauliche Ansatz ist, wird mit Daniel Pollers Blick etwa auf Details deutlich, mit denen zur Hand er ein Projekt von konzeptueller Strenge entwickelte.
Der Künstler entschied sich, seine Kamera auf die rund 60 Spolien zu richten, sie systematisch zu fotografieren und zunächst ihre Quellen zu erforschen. Spolien, das sind erhaltene originale Bauelemente zerstörter Bausubstanz, die im Prozess der Nachbildung aus ihren verstreuten Orten der Lagerung zusammengetragen und in die Neubauten integriert wurden. Mit dem Einbezug dieser historischen Bestandteile sollte sich ein Eindruck von Originalität vermitteln oder vertiefen. Das Quellenstudium Pollers allerdings – gewissermaßen seine „Rekonstrukionsarbeit“ – macht deutlich, dass sich dieser Anspruch nicht durchhalten oder vollständig einlösen ließ, da der Verbau der Spolien mitnichten am jeweils genuinen Ort erfolgte und zugleich ihre Provenienzen nicht immer geklärt werden konnten. Vielmehr setzt sich der Eindruck durch, dass die Zuordnung zum Teil willkürlich erfolgte und somit eine Art kontingente Interpretation darstellt.
Hinzu kommt Daniel Pollers kritische Durchleuchtung des „Farbleitplans“, eine Anlage zur Gestaltungssatzung der Neuen Altstadt, mit dem die Verwendung aller Farbwerte im Zuge der Rekonstruktion bindend festgelegt wurde. Bereits das Gesamtensemble der Neuen Altstadt hat der Architekturtheoretiker Philipp Oswalt – neben vielen anderen Aspekten – kritisch als eine neue Form der „Medienarchitektur“ bezeichnet, da sich seine Gestalt allein aus technischen (also fotografischen) Bildern generierte und vor allem hier ihren Bezugspunkt fand. Die Stadt Frankfurt entschied sich damit gegen einen Gestaltungsprozess, der die jeweiligen zeitspezifischen Bedarfe produktiv in städtebauliche Konzepte einspeist. Und konnten trotz einer geradezu „fotorealistischen Rekonstruktion“ der Frankfurter Altstadt bereits die Spolien nicht durchgehend an den jeweils ursprünglichen Standorten verbaut werden, so muss auch in Bezug auf die Entwicklung des Farbleitplans konzediert werden, dass dieser aufgrund einer prekären Quellenlage ähnlich spekulativ erfolgte.
Wie begegnet nun Daniel Poller diesen beiden Detailaspekten aus dem Gesamtensemble der Neuen Altstadt, die für sich allein genommen bereits von einer erstaunlichen Diskontinuität zeugen, konzeptionell? Welche formal-ästhetischen Entscheidungen trifft er? Und wie gelangt er zu einer kritischen Kommentierung dieses fragwürdigen Vorhabens einer Frankfurter Kopie? Die Betitelung der Arbeit als Kopie ist die erste folgerichtige Entscheidung, um den Charakter der Nachbildung des Dom-Römer-Areals herauszustellen. Stattdessen – gewissermaßen kontrafaktisch zur Kopie – selbst Originale bereitzuhalten, also nicht reproduzierbare fotografische Werke, beschreibt die zweite Weichenstellung. Denn der Künstler entschied sich, in die fotografischen Reproduktionen der zuvor aufgenommenen Spolien sprichwörtlich „einzugreifen“. Zunächst erfolgte dies durch mehrfaches Überdrucken der Fotografien mit den entsprechenden Farben des Farbleitplans. Zugleich hielt und zog er während des Druckprozesses am Papier. So entstanden manuelle Verzeichnungen des Ursprungsbildes. Anstatt etwas „Altes“ durch eine erneute Reproduktion zu illustrieren, griff er also performativ in den Druckprozess ein und arbeitete offensiv mit den dadurch entstehenden Kratzern, Flecken und Schnitten. So sind Unikate von hohem ästhetischen Reiz entstanden, die entgegen dem reproduzierbaren Charakter des Fotografischen nicht nur nicht mehr in der Art ihrer Erscheinungsweise wieder aufführbar sind, sondern die zugleich eine kritische Kommentierung einer Baukultur bedeuten, die auf fragwürdigen Aneignungsstrategien historischen Materials beruhen. Dadurch, dass Daniel Poller die Motive der Spolien außerdem mehrfach und in Serie überdruckte und so Bilder von ihnen in verschiedenen eigenwilligen Farbvarianten entstanden sind, verweist er auf das weitläufige und ungesicherte Spektrum ihrer möglichen Provenienzen. Nicht zuletzt lässt der Künstler in dieser Arbeit mit all diesen einerseits inhaltlich begründeten und andererseits ästhetisch überzeugenden Zugriffen die Bilder – die Unikate – zum Objekt werden. Damit stellt er ihren jeweils originalen Charakter heraus und betont die Materialität des Fotografischen. Es ist dies eine stringente Entgegnung auf einen städtebaulichen Ansatz, der mit seinem Zugang zur Rekonstruktion der Neuen Altstadt nicht zuletzt auch den Täuschungen der Fotografie erlag.