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Maren Lübbke-Tidow

“was zwischen uns steht. Fotografie als Medium der Chronik”, EMOP Berlin – European Month of Photography, Zentrale Festivalausstellung. Akademie der Künste (Hanseatenweg), Berlin, 28.2. – 4.52025 (Main Festival Exhibition, upcoming)

“EMOP OPENING DAYS”, EMOP Berlin – European Month of Photography, Festivalzentrum in der Akademie der Künste, Berlin, 27.2 – 2.3.2025

“Vergabe des Ellen Auerbach-Stipendiums an Ilit Azoulay”, Artist Talk, Akademie der Künste / Standort Hanseatenweg, 28.2.2025, 19:00 Uhr

Tuesday Talk “Boris und Vita Mikhailov”,  Artist Talk, Akademie der Künste, Standort Hanseatenweg, Berlin, 18.3.2025, 17:00 Uhr

was zwischen uns steht
Fotografie als Medium der Chronik
EMOP Berlin – European Month of Photography
Zentrale Festivalausstellung,  Akademie der Künste, Berlin
28.2. – 4.5.2025
Kuratiert von Maren Lübbke-Tidow 
Mit Ilit Azoulay, Yevgenia Belorusets, Cana Bilir-Meier, Hannah Darabi & Benoit Grimbert, Fungi (aka Phuong Tran Minh), Bérangère Fromont, Beate Gütschow, Raisan Hameed, John Heartfield, Leon Kahane, Susanne Keichel, Simon Lehner, Boris Mikhailov, Pınar Öğrenci, Helga Paris, Einar Schleef, Maya Schweizer, Wenke Seemann, Christine Würmell, Tobias Zielony und einem Text von Walter Benjamin
Christine Würmell, aus der Serie: Signature Style (Thälmann), seit 2004 (fortlaufend).

 

“Der Chronist, welcher die Ereignisse hererzählt, ohne große und kleine zu unterscheiden, trägt damit der Wahrheit Rechnung, daß nichts, was sich jemals ereignet hat, für die Geschichte verloren zu geben ist.”

(Walter Benjamin)

 

Würde Walter Benjamin diesen Satz aus seinen fragmentarisch gebliebenen Thesen Über den Begriff der Geschichte auch heute noch so aufschreiben? Eine ganze Generation von Chronisten dokumentiert in ihren Timelines und Newsfeeds unentwegt ihre Stories. Mehr denn je sind wir von Bildern und Texten umgeben, von Kommentarleisten, Filmschnipseln und von Fotografien im Zeitalter ihrer KI-gestützten Reproduzierbarkeit. Zeitgeschehnisse werden mit ihnen genauso dokumentiert wie persönliche Befindlichkeiten. Die „veränderungserschöpfte“ und von Krisen geschüttelte Gesellschaft (Steffen Mau) reagiert emotionalisiert und gespalten.

Es wächst das Bedürfnis, genau dem etwas entgegenzusetzen und – angesichts der Brüchigkeit von Demokratien, dem Erodieren ihres Fundaments, von Umweltzerstörung und wachsender Gewalt, von Ausgrenzung und gesellschaftlicher Desintegration – dem Zersetzenden der Gegenwart etwas Konstruktives entgegenzuhalten. Doch was kann mit Bildern, zumal mit fotografischen, tatsächlich noch gewusst, belegt oder gesagt werden angesichts eines gänzlich anderen Produktions- und Rezeptionsverhalten? Sind es nicht gerade die Bilder, die Gräben vertiefen, die zum Medium des „fake“ werden und polarisieren, kurz, die zwischen uns stehen?

was zwischen uns steht unternimmt den Versuch, den Kreislauf der permanenten Selbstvergewisserung zu unterbrechen und das fotografische Bild als Medium der Chronik wieder neu zu verhandeln. Sie hält an dem Anspruch fest, dass fotografische Bilder einen Berührungspunkt mit der Realität markieren – und mag er noch so schemenhaft sein – und also Wissen transportieren.

Projekte von rund 20 Künstler*innen verleihen dem Gegenüber mittels der eigenen Stimme Resonanz. Sie stehen für ein „Verstehen vom Anderen“ (Emmanuel Levinas) – nicht als alles übertönende Lautsprecher, sondern in der Reflexion darüber, wie jenseits von Schemata der Vereindeutigung differenziert und, ja, zart erzählt werden kann. Wenn „eine kleine Dokumentation aus verstreuten und schwer zugänglichen Quellen (…) schließlich Resultate erbringen (kann)“ (Carlo Ginzburg), können die Erfahrungen anderer verstehbar und vorstellbar sein, selbst wenn sie sich aus nichts als einem Haufen von Bruchstücken und ihren jeweiligen Kontexten zusammenfügen. So arbeitet die Ausstellung Wahrheiten heraus und bringt sie zum Sprechen. Sie erzählt, statt Gewissheiten auszustellen. Denn zu erzählen, auch in Bildern, ist „in der Form etwas anderes, als etwas zu fordern“, ist „etwas anderes, als etwas einzuklagen, etwas zu erzählen, ist fragiler, als etwas anzukündigen.“ (Carolin Emcke).

was zwischen uns steht thematisiert den Zusammenhang von sozialer Klassifikation und Bildungschancen. Sie transportiert Erfahrungen von Krieg, Flucht und Exil, von Arbeitsmigration und Ausgrenzungserfahrung, von der Situation der unmittelbaren Nachwendezeit oder der Radikalisierung von Teilen der Gesellschaft. Nicht zuletzt sind es Themen wie der Krieg Russlands gegen die Ukraine und der Krieg in Nahost, die in den Beiträgen nicht in Behauptungen, sondern in kritischer Distanz fragend und erzählend bearbeitet werden.

Dass der eigene Begriff von Geschichte eine entscheidende Rolle im Blick auf die Gegenwart spielt, wird in der Ausstellung in Bildern deutlich, in denen die Vergangenheit in der Gegenwart aufblitzt und Momente des Erkennens kreiert. Dann zeigt sich ihr wiederständiges Potenzial, das immer auch ein utopisches Potenzial ist. Vor diesem Hintergrund ist umso bereichernder, dass die ausgestellten Werke um Materialien aus den Archiven der Akademie der Künste ergänzt sind. Denn mit ihnen wird die erinnerungspolitische Spur greifbar, die dem Projekt als Grundsound unterlegt ist.

 

 

 

Artist Talks, Book Talks, Paneldiskussionen, Filmvorführungen, Preisverleihung
EMOP OPENING DAYS
EMOP Berlin – European Month of Photography
Festivalzentrum in der Akademie der Künste
Berlin, 27.2 – 2.3.2025
Programm: Maren Lübbke-Tidow 
Mit: Ilit Azoulay, Felipe Romero Beltrán, Cana Bilir-Meier, Hannah Darabi & Benoît Grimbert, Nihan Devecioğlu, Florian Ebner, Dörte Eißfeldt, Julia Grosse, Raisan Hameed, Nadine Isabelle Henrich, Yu Su Hsin, Maryam Jafri, Leon Kahane, Susanne Keichel, Annekathrin Kohout, Susanne Kriemann, Franziska Kunze, Andreas Langfeld, Simon Lehner, Ute Mahler, Werner Mahler, Arwed Messmer, Mira Anneli Naß, Elisabeth Neudörfl, Pınar Öğrenci, Katja Petrowskaja, Clarita Maria Phiri-Beierdörffer, Steffen Siegel, Rebecca Wilton, Tobias Zielony, u.v.a.m.
Tobias Zielony, aus der Serie Das was euch am Leben hält, ist, was bei uns zu Asche zerfiel, 1997–2005
Artist Talk
Maren Lübbke-Tidow im Gespräch mit Ilit Azoulay anlässlich der Vergabe des Ellen Auerbach-Stipendiums 2024 an die Künstlerin
Akademie der Künste / Standort Hanseatenweg, Berlin
28.2.2025, 19:00 Uhr
 

 

Ilit Azoulay,  in Zusammenarbeit mit Maisoun Karaman, Heart to Heart, 2024, Soundinstallation, Ausstellungsansicht Museum der Moderne, Salzburg 2024.

 

 

Das Ellen-Auerbach-Stipendium für herausragende internationale Fotografie wird an die israelische Künstlerin Ilit Azoulay vergeben. Der Preis basiert auf dem Nachlass der deutsch-amerikanischen Fotografin Ellen Auerbach.

Aus der Begründung der Jury: „Ilit Azoulay wird für ihr subtiles, kaleidoskopisch angelegtes Werk ausgezeichnet, das die Fotografie in ihrer ursprünglichen, ihrer genuinen Bedeutung einsetzt, optisch Unbewusstes zu heben, aufzuklären. In ihrer häufig archivarischen Arbeit nimmt sie auf, was nicht zu sehen war, sie deutet Geschichte im Licht des Jetzt.“

Ilit Azoulay wurde in Jaffa geboren, ihre Wurzeln hat sie in Marokko, heute lebt sie in Berlin. Im Rahmen der zentralen Festivalausstellung des EMOP Berlin, was zwischen uns steht. Fotografie als Medium der Chronik (28.2. – 4.5.2025), wird ihre Soundarbeit Heart to Heart präsentiert.

Artist Talk
Tuesday Talk: Maren Lübbke-Tidow im Gespräch mit Boris und Vita Mikhailov, im Rahmen der Ausstellung “was zwischen uns steht. Fotografie als Medium der Chronik” 
Akademie der Künste, Standort Hanseatenweg, Berlin
18.3.2025, 17:00 Uhr
Boris Mikhailov,  Requiem, aus der Serie: Case History, 1997-1998, Chromogenic Color Print, 196 x 127 cm, Akademie der Künste, Berlin, Kunstsammlung, Inv.Nr.: Foto 1109.7
Der in den späten 1990er-Jahren einer größeren Öffentlichkeit bekannt gewordene Boris Mikhailov (geb. 1938 in Charkiw, lebt in Berlin und Charkiw) ist einer der bedeutendsten Fotografen der Gegenwart. Sein Werk widmet sich der Situation und Haltung des Einzelnen innerhalb politischer Systeme: in der Sowjetunion, im postkommunistischen Osteuropa bis hin zu dem in der heutigen Ukraine. Seine Erzählungen enthalten neben dem gesellschaftspolitischen Kontext auch persönliche Betrachtungen der Verwundungen des Menschen, seiner Lust, seines Alterns und Todes, die er mit Humor und Schelmenhaftigkeit in den Blick nimmt.

 

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